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Wie alles begann

Alles begann mit meiner Großmutter Anna. Sie war ca. 1:50 hoch, war gleich groß wie breit und hatte ca.100kg auf den Hüften. Wenn sie sich mit noch 80 Jahren auf ihr Waffenrad schwang, war Rettungsgasse angesagt. Dabei ist sie genau einmal vom Rad gefallen. Dank ihrer Fettpolster blieb der Schenkelhals ganz.

Meine Oma kommt aus einer typischen Osttiroler Familie: riesig und uralt. Von all ihren 15 Geschwistern sind nur jene früh gestorben, die entweder die Geburt nicht lange überlebten weil sie an einer Diphterie starben oder sich mit 20 Jahren in den ersten Weltkrieg verabschiedet hatten. Alle anderen wurden mindestens 90 Jahre, was natürlich auch zur Folge hatte, dass die eine oder andere Großtante in den Wahn verfiel, wie man die Demenz damals noch nannte.

Der Lieblingsspruch meiner Großmutter lautete: „ Iss was g´scheits, damit was wird aus dir!“ Was sie mit „gescheit“ meinte, lag auf der Hand: Germknödel, Schweinsbraten, Speckknödel, Schlipfkrapfen, Guglhupf und Kirchtagskrapfen. Meine Großmutter wuchs in einer Bauernfamilie auf. Ihre Mutter  gebar einige ihrer Kinder noch auf dem Feld, weshalb auch ich auf eine handfeste naturgegebene Geburt pochte, was mir nicht gegönnt war. Annas Mutter hatte, so erzählt man sich,  mit 70 Jahren noch alle eigenen Zähne im Mund und erfreute sich bester Gesundheit bis ins hohe Alter. Wenn ich mir alte Bilder der Familie ansehe, bemerke ich eine feiste, aber nicht dicke Gesellschaft. Das lag wahrscheinlich daran, dass Süßigkeiten etwas für die Feiertage war. Schokolade war ein Fremdwort und zu Weihnachten freute man sich auf getrocknete Zwetschken, wie mir meine Mutter heute noch erzählt. Auf den Mittagstisch kamen die geernteten Kartoffeln und das Gemüse vom Feld. Die Milch spendete die Kuh „Moidl“ und  einmal im Jahr wurde ein Schwein geschlachtet und  Innen und Außen verwertet. Die Eier kamen  noch lauwarm aus dem Nest und das Brot und die Butter wurden selbstverständlich selbst hergestellt.  Es gab die „Marende“,  ein deftiges Frühstück  aus Polenta oder Milch/Mehlmus, welches in einer großen Kupferpfanne über dem offenen Feuer am Herd gekocht wurde. Die 3 cm dicken Brotscheiben wurden 4 cm dick mit Butter beschmiert. Dazu gab es Getreidekaffee. Würden wir uns heute so wie damals ernähren, würden wir wie meine Großmutter aussehen. Aber die Menschen um die Jahrhundertwende am Land mussten sehr viel arbeiten. Sie waren von 4 Uhr früh an auf den Beinen. Gesessen ist man höchstens am Abend zum Rosenkranz beten, musizieren und Karten spielen.  Der durchschnittliche Cholesterinwert wird bei 290 gelegen sein. Gestorben ist daran aber niemand. Soweit ich weiß, litt niemand in der Familie an der Coronaren Herzkrankheit. Man ging ja auch nicht zum Arzt in dieser Zeit. Die Arbeit hielt die Menschen untertags pausenlos auf den Beinen. Ein Schulweg von 11/2 Stunden war keine Seltenheit. Zum Kirchgang am Sonntag traf sich dann die ganze Familie und war den halben Tag unterwegs, zu Fuß natürlich.

Übers Fasten

Das Karfreitagsfasten war nicht die einzige Entbehrung das die gläubigen Katholiken hinnehmen mussten. Was wir uns heute mühsam bei einem teuren Wellnessurlaub „erfasten“, war damals das tägliche Brot. Hungern mussten die Bauern zwar nicht, auch nicht im Krieg. Aber Verzicht war der tägliche Gast bei den Menschen in dieser Gegend und zu dieser Zeit. So mussten die Kinder den benachbarten Bauern bei der Kartoffelernte helfen und erhielten dafür eine warme Mahlzeit. Ein Spiel, das half, die Mäuler der Kinder zu stopfen und die Mühe der Eltern erleichterte, die große Familie zu erhalten.  Noch in den 60iger Jahren, als dieses Leben längst Geschichte war, kontrollierte meine Großmutter jede von mir geschälte Kartoffel. Nur die  hauch dünn geschälte Schale hielt ihren strengen Augen stand, damit auch ja nichts unnötig verschwendet werde.  Auch das Brot war zu meinem Leidwesen immer mindestens drei Tage alt wenn ich es bekam, weil zuerst das alte Brot aufgegessen werden musste, bevor das inzwischen nicht mehr frische auf den Tisch kam.

Über die Entspannung

Heute gibt es ein Schlagwort: „Entschleunigung“. Ich höre das tiefe, herzliche Lachen meiner Großmutter wenn ich sie im Geiste mit dem Wort konfrontiere. Die Menschen hatten damals nicht viel, aber immer Zeit für die vielen kleinen Dinge des Lebens. Die da waren: einen Tratsch mit den Nachbarn, ein Lied auf dem Weg, ein Gebet an einem Rastplatz, ein schweigendes Gespräch mit den Bienen, ein Gang durch den Bauerngarten, eine Abkühlung im nahen Brunnen. Viele kleine Momente im natürlichen Rhythmus des Tages und Jahres. Abhängig alleine von den Jahreszeiten, dem Sonnenstand, den Bedürfnissen der Natur und der Tiere. Es gab kein Yoga und keine Meditation. Aber es gab ein Fühlen und Spüren von allem was ist. Es war ein Glaube an etwas Größeres und der unbedingte Wille dem zu folgen. Es gab die Gemeinschaft die für das Überleben wichtig war und es gab den besonderen Respekt für das Alter. Jeder hatte seinen Platz. Jeder erlebte sich als Teil des Ganzen. Man wusste noch zu schauen. Es gab ja nichts anderes. Die Tiere hörten auf den Klang der bekannten Stimme, die Menschen hörten auf den Klang der Natur und lebten in der natürlichen Resonanz des Seins. Entschleunigung war nicht notwendig, denn die Zeit hatte nicht die heutige Bedeutung von „ haben und müssen“. Die Uhr tickte nicht am Handgelenk, sondern schlug im Wohnzimmer um die Zeit des Gebetes  und der Arbeit anzuzeigen. Es wurde getan was gerade notwendig war. Nicht mehr und nicht weniger. Der Rest war Lebensfreude. Ich erinnere mich an die Stunden mit meiner Großmutter im Garten. Ich war gerade 6 Jahre alt. Ich lag unter meinem Lieblingsbaum und zählte die Maikäfer. Währenddessen meine Großmutter, auf einer grünen Holzbank vor dem Haus sitzend, das Gesicht halb unter einem sommergelben Hut versteckt, die Hände vor ihrem weichen dicken Bauch verschränkt, mich betrachtete. Dieses Bild zählt zu den Lieblingserinnerungen meiner Kindheit.

Über das Essen

Ja, meine Großmutter war dick. Sie kannte keine andere Form des Kochens und des Essens, als die, welche sie in ihrer Kindheit gelernt hatte. Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, sich plötzlich im Alter umzustellen. Sie merkte sehr wohl, dass sie, endlich im wohlverdienten Ruhestand, sich immer weniger bewegte. Sie merkte auch, und litt auch darunter, dass sie immer schwerer und unbeweglicher wurde. Es war ihr aber vollkommen klar, dass sie sich etwas gönnen wollte. Die Liebe die sie bei der großen Kinderschar ihrer Familie nicht bekommen konnte. Die Entbehrungen ihrer Kindheit durch die viele Arbeit und den Krieg überzeugten sie von ihrem Recht, es sich endlich gut gehen zu lassen. Sie meinte damit, ordentlich zu essen. Essensentzug war bei ihr gleichgesetzt mit Liebesentzug und wurde als Strafmaßnahme eingesetzt. Ihre Kinder, meine Tanten, haben dieses System schon als Kinder mit der Muttermilch mitbekommen und sind auch alle übergewichtig. Übergewicht ist also bei uns, seit ich in den 60iger Jahren geboren bin, ein Thema. Ich habe mich schon als Teenager von 15 Jahren mit Diäten versucht. Ich war nämlich auch ein pummeliges Kind. Erst in den 80iger Jahren, als ich von daheim wegging und mein eigenes Leben lebte, veränderte ich mein Essverhalten dauerhaft.

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