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Ich sehe mich in einem russischen Krämerladen in einem Vorort der Stadt. Ich stehe vor einem riesigen Kühlschrank mit Glastür. Schemenhaft leuchten große Plastikbehälter mit weißem Inhalt durch das Glas. Wie ein Dieb, mich nach allen Seiten umsehend, öffne ich schnell die Türe und nehme mir einen der beschrifteten Tiegel heraus. Ich öffne den Deckel und stecke meinen Zeigefinger tief in die weiße cremige Masse um mich gleich darauf wie ein Kind zu fühlen, das Geburtstag und Weihnachten zugleich erlebt. „Topfen!!“, an der Ostküste eines Kontinents, der außer Mac Donalds und Starbucks nichts an Kulinarik erfunden hat, was sich für einen Westeuropäer zu kosten lohnt. Ich sehe schon die Einladung die ich per Email versenden werde: „Real Vienna Heurigen Party, wednesday evening, starts at five pm“. Ich werde Topfentorte, Wienerschnitzel und Krautfleckerl servieren. Dazu wird es Bier geben und „Yellow foot“ Wein, die Flasche 2 Dollar. Die hatte ich ja schon die Woche zuvor eingekauft, und für eine ganze Kiste der „Gelbfüße“, zweimal zu „Trader Joe´s“ fahren müssen, weil man mir, inzwischen 34jährig und seit kurzem verheiratet, trotz Ehering und erwachsenem Auftreten („I want to talk to the manager!“), ohne Reisepass keinen Alkohol verkaufen wollte. Pünktlich um 17 Uhr werden dann die amerikanischen Forschungskollegen meines Mannes und meine Arbeitskolleginnen aus der Dialyse erscheinen, werden dann mit entzückten „Oh, how Lovely“ Rufen sich über das Wiener Buffet hermachen, um dann pünktlich um 21:00 sich höflich zu verabschieden. Um 22:00 wird es dann wieder an der Türe läuten und die deutschen und österreichischen Kollegen meines Mannes werden erscheinen, sich ein Bier schnappen um sich dann um 2:00 Morgens leicht angetrunken nochmals am kleinen Balkon zu umarmen, bevor auch sie nach Hause gehen. Schließlich muss man am nächsten Tag arbeiten.

Mein Mann und ich haben für eine Weile in Boston gelebt. Man hält diese Stadt ja für die europäischste aller amerikanischen Städte. Trotzdem fühlte ich mich zeitweise in einer anderen Welt. Ich war überrascht, dass peinlich genau darauf geachtet wird, den anderen nicht zu berühren, weder in einem Geschäft noch auf den Flughafen, wo meistens viel los war. Die Leute die ich in der Arbeit kennen lernte, hatten alle 2-3 Jobs. Es war für sie völlig normal nur eine Woche auf Urlaub zu fahren. Meine Kolleginnen sammelten ununterbrochen Rabattmarkerl, weil man nur dann, sich das teure Leben in Boston leisten kann, wie sie immer betonten. Die Wochenenden gehörten den Shopping Centers im Süden. Verabredungen wurden nach folgenden Bedürfnissen getroffen: Freitag Mittagessen, jeder bezahlt selbst, soll heißen:  „Ich möchte mich wieder mal mit dir treffen“. Samstag Abendessen, er bezahlt, heißt: „I want to have sex…“ Interessieren sich in Europa nur die zukünftigen Schwiegereltern für den Lohnzettel des möglichen Schwiegersohns so ist es für Frauen in den USA durchaus üblich, Geld und Karriere als“ first reason for a relationship“ zu sehen. So wurde ich etwa gefragt, wie ich es geschafft hätte, mir einen Arzt zu angeln. „ How did you do that?“ Ich dachte zuerst, es handle sich um einen Witz meiner Kollegin, doch es war ernst gemeint. Für mich war diese Frage schwer nachzuvollziehen, bis ich von den überdimensionalen Gehältern amerikanischer Ärzte hörte, die diesem Umstand verdanken, dass sie auf der „Most wanted“ Liste der unverheirateten Ladies stehen.  Auch dass der Durchschnittsamerikaner bis zu 300 km am Wochenende nach Main in den Norden des Landes fährt, nur um für ein paar Stunden in ein Kajak zu steigen, war sehr eigenartig für uns…bis wir in das Leben dort eintauchten und Teil davon wurden. Das passiert relativ schnell. Bei mir war es schon nach ein paar Monaten so weit. Ich bemerkte das gar nicht, solange ich dort lebte. Was mir auffiel, war, dass mir nichts mehr auffiel.

Als wir dann nach Österreich zurückkehrten, war es, als würden wir aus einem Traum erwachen. Schon die Ankunft am Schwechater Flughafen empfand ich als Alptraum. Die Leute standen in Trauben vor der Kofferabfertigung. Ich wurde von hinten angerempelt.   Wir wunderten uns über  unfreundliches Personal in den Lokalen und Geschäften in Wien was in den USA undenkbar gewesen wäre, genossen aber auch in Ruhe sitzen bleiben zu können ohne dass dir gleich jemand freundlich aber bestimmt die Rechnung auf den Tisch legte. Wir hörten plötzlich die jammernde Wiener und wir erinnerten uns wehmütig an die aufgeräumte, positive Stimmung die unter den Leuten in Boston herrschte. Aber wir genossen auch frisches Brot beim Bäcker mit dem man nicht mehr Zieharmonika spielen konnte, weil es so weich und außerdem geschmacklos war. Wir fühlten uns seltsam fremd im eigenen Land, obwohl wir nur  zwei Jahre weg waren. Wir merkten, dass wir plötzlich ein anderes Tempo in unserem Leben hatten. Dieses Leben in der Luftblase einer fremden Kultur zerplatzte natürlich bereits nach ein paar Monaten. Was mir jedoch in den letzten Jahren besonders auffiel, war, dass in Wien plötzlich auch viele amerikanische Eigenheiten und Bräuche Einzug hielten. Anfang 2000 gab es auch hier plötzlich Cafés in den Buchhandlungen, was vorher undenkbar gewesen war, und ich das erste Mal staunend in Boston erlebte. Es schossen die Shopping Center aus dem Boden. Die ersten „outlet stores“ entstanden. Im AKH“ eröffnete der erste „Starbucks“. Die amerikanische „Fast food“ und Konsumblase hatte auch uns erreicht. Aber auch unser Lebensstil passte sich den amerikanischen Verhältnissen an. Der Alltag wurde schneller, leistungsbezogener, standardisiert und ganz nach der Wirtschaft ausgerichtet. „Zeit ist Geld“ war nun die Devise. Dieser Dogmenwechsel brachte nicht nur Gutes. Es gibt so viel „Burn out“  Erkrankungen wie noch nie. Psychotherapeuten haben Hochkonjunktur. Aber wir können uns dieser Veränderung unserer Kultur nicht entziehen. Außer wir begeben uns in die Flugzeugperspektive und sehen uns unseren Lebenswandel zwischendurch mit einem gesunden Abstand an. Wenn ich also gefragt werde, ob der Mensch von seiner Umgebung abhängt, lautet meine Antwort definitiv „Ja!“.

Wenn wir jedoch die Verantwortung für unser Leben übernehmen, erkennen wir, dass wir in Wirklichkeit unsere Umgebung selbst gestalten!  Ich würde jedem, der die Möglichkeit hat, raten: Fahre wieder einmal an einen dir unbekannten Ort. Vielleicht hast du die Möglichkeit eine Zeit lang dort zu leben. Lies Bücher, die über andere Kontinente, Kulturen, Lebensweisen und Philosophien schreiben. Es wird dich lehren, dein Zuhause mit anderen, wacheren Augen zu sehen. Du erkennst dann, dass du deine Umwelt durchaus durch dein Denken und deine damit verbundene Wahrnehmung verändern kannst.