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Demenz und Wirklichkeit

Demenz und Wirklichkeit

Ich habe mich durch die Seminare der Basalen Stimulation in Pflegeheimen in letzter Zeit viel mit wahrnehmungseingeschränkten Menschen befasst. Ich bin zum Schluss gekommen, dass vor allem Menschen die an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind uns allen als ein Spiegel unserer Zeit dienen.

Warum ist das so? Menschen mit demenziellen Veränderungen tendieren dazu, sich immer mehr in sich zurückzuziehen. Mit der Zeit werden sie für uns Mitmenschen immer weniger durch äußere Einflüsse erreichbar. Sie vergessen wo sie sind, warum sie hier sind, wer sie sind. Zeit spielt für sie ebenso wenig eine Rolle wie Prestige und Anerkennung. Sie „ticken“ nicht mehr wir „normale“ Mitbürger unseres ach so kultivierten Landes. Sie nehmen nicht mehr Teil am täglichen Leistungsdruck den wir uns alle auferlegen. Sie sind nicht mehr formbar. Will man sie fordern und fördern nach unseren Ergebins-orientierten Maßstäben, erleben wir, und sie meist auch, extreme Frustration die sich in Ablehnung und Aggression ausdrückt. Demente Menschen leben ausschließlich „Gefühls-gesteuert“. Das was sich gerade in ihrem Inneren an Erinnerungen, erlebten Emotionen, Glaubenssätzen und angelernten Mechanismen abspielt wird mit dem gerade im Augenblick erlebten verbunden und als Wirklichkeit wahrgenommen. Anpassung geht nicht mehr. Demente Menschen zeigen uns ganz deutlich die Grenzen unserer eigenen Wahrnehmung auf. Was wir als eigene Wirklichkeit und einzig gültige Wahrheit ansehen wird plötzlich zu einer „Wahr-Nehmung“ reduziert. Wir tendieren natürlich dazu, diesen Umstand von uns wegzuschieben. „Gilt für uns nicht!“, sagen wir. Wir fühlen uns bei dem Gedanken „nicht Herr unserer Sinne“ zu sein, sogar so unwohl, dass wir mit diesem Menschen am besten gar nichts zu tun haben wollen. Sonst wäre es wohl nicht möglich, dass, wie Studien zeigen, Menschen mit psychischen Veränderungen, wie beispielsweise Verwirrtheit, in Pflegeheimen und anderen Institutionen weniger berührt und umarmt werden als andere, obwohl sie es noch viel nötiger hätten um sich selbst zu spüren und  ihre Umwelt besser wahrzunehmen. Demente Menschen zeigen uns auch, dass Sprache in der Zukunft als Kommunikationsmittel nicht mehr taugt. Die Dinge die wir im Herzen ausdrücken wollen, brauchen nämlich gar keine Worte. Es genügt schon eine empathische, offene Haltung einzunehmen, Ängste vor Ekel, Abwehr und Ablehnung abzulegen, und den anderen Menschen einfach nur wahrzunehmen. Ob das nun durch eine herzliche Umarmung passiert oder einfach nur durch ein liebevolles Hinschauen und ehrliches Interesse, spielt dabei keine Rolle. Die kleinen Gesten eines achtsamen und ehrlichen Gedankens, das Ergreifen einer Hand, die Bewegung hin zur Augenhöhe des anderen, ein Lächeln, bewirken oft mehr. Da sollten wir uns viel mehr an Neugeborenen bis hin zu kleinen Kindern orientieren. Da fällt es uns noch leicht in die wissenden Augen zu schauen und einfach hinzunehmen, dass sie so sind wie sie sind. Bei erwachsenen, alten, wahrnehmungseingeschränkten Menschen, oder.. nein halt! Bei uns selbst, haben wir es schon lange verlernt.

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