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Von der Technik und der Unfähigkeit zuzuhören

Ich habe heute Günther kennengelernt. Günther ist seit einigen Jahren an der Chronischen Krankheit Multiple Sklerose erkrankt. Das Gespräch mit ihm hat mir sehr zu denken gegeben. Günther sitzt seit einiger Zeit in einem elektrischen Rollstuhl. Er kann seine rechte Hand nicht mehr einsetzen um händisch die Räder zu bedienen, da sie bereits durch die Lähmungserscheinungen sehr geschwächt ist. Nachdem wir uns ein wenig über die Rollstuhltauglichkeit von Graz unterhielten, ("wenn ich über den Randstein nicht auf den Bürgersteig komme, fahre ich halt auf der Straße"), kam unser Gespräch auf seine häufigen Krankenhausaufenthalte. Er stellte fest, dass die Therapeuten ein festgefahrenes Programm fahren würden und viel zu wenig auf die Patienten eingingen. Als Beispiel erzählte er mir die Geschichte vom Physiotherapeuten eines Zentrums hierzulande: Als Günther eingeliefert wurde, war er sehr schwach und konnte der Aufforderung, den Gang entlang zu gehen nicht nachkommen. Nach drei Schritten musste er aufgeben und wurde wieder ins Zimmer befördert. Da Günther es aber gewohnt ist, sehr hart an sich zu arbeiten, trainierte er seine Muskulatur intensiv und kam so weit, dass er nach drei Tagen dem verdutzten Physiotherapeuten sagte, er wolle Stiegen steigen. Der Physiotherapeut sagte: „Na, dann wollen wir das einmal probieren“. Günther meinte ironisch: „Wir werden gar nichts probieren. Sie können ja, wenn sie wollen im Rollstuhl sitzen, während ich dreimal den Gang auf und ab gehe und dann Stiegen steige!“ So war es dann auch. So weit, so gut! Erstaunlich war nur der Umstand, dass der Physiotherapeut mit keinem Wort nachfragte, wie denn so etwas möglich ist. Er wollte nicht wissen, welche Übungen Günther macht. Er sprach nicht über ein Ziel oder eine gemeinsame Arbeit die der weiteren Entwicklung dienlich wäre. Er spulte einfach sein Programm herunter. Physiotherapie, eine Stunde bei Herrn XY erledigt. Konnte heute Stiegen steigen. Punkt.

In unseren, ach so technisch perfekten Institutionen, wo wir modernste Diagnostik und Werkzeuge zur Verfügung haben, gehen wir so in der Routine unter, dass wir ganz vergessen uns dem Menschen zuzuwenden. Wir sehen nur noch unseren Job, die erbrachte Leistung, den Erfolg oder Misserfolg wie er ja bei chronischen Krankheitsbildern wie der Multiblen Sklerose  leider der Fall ist. Wir vergessen genauer hinzuschauen und schlagen den Versuch aus, selbst etwas dazuzulernen, zu erfahren, weil wir viel zu viel damit beschäftigt sind zu urteilen: nach unseren alleinig gültigen Maßstäben und nach unseren Standards die uns eine scheinbare Sicherheit vermitteln. Anstatt von denjenigen zu lernen, die noch genügend Kohärenzsinn besitzen um sich selbst und damit auch anderen zu helfen.

 

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